Demografischer Wandel – Folge eines Wertewandels?

Jeder spricht von ihm. Jedem sind die Zahlen bekannt. Jeder ist sich der gegenwärtigen Entwicklung der deutschen Bevölkerung bewusst. Wir werden weniger.
Der Eine sieht das mit Sorge und Angst vor der Zukunft, der Andere sieht das ruhig und gelassen und bereitet sich auf die Veränderungen vor.
Da gibt es die enttäuschte fünffache Mutter, deren gesunde Kinder, alle zwischen 30 und 40 Jahre alt, ihr erst zwei Enkelkinder geschenkt haben. Da gibt es den verängstigten und verbitterten Mann, der nicht fremdenfeindlich ist, der jedoch die hohe Zuwanderung, mit der die Abnahme der Bevölkerung teilweise kompensiert werden soll, mit großer Sorge sieht. Da gibt es den Studenten, der den Verfall sozialer gesellschaftlicher Werte für die Entwicklung verantwortlich macht. Und es gibt die Gelassenen, die nüchtern die Situation so hinnehmen wie sie ist und die versuchen, angemessen auf sie zu reagieren. Doch was ist das – angemessen reagieren?
Politische Kommissionen werden gebildet, mit den Bürgern wird diskutiert, es werden Veranstaltungen abgehalten – alles, weil niemand genau zu wissen scheint, wie mit der neuen, ungewohnten Situation umzugehen ist. Sollte man vor allem Maßnahmen ergreifen, die zur Deckung der Bedürfnisse älterer Menschen in naher Zukunft notwendig sein werden und so das Reagieren auf die neue Situation, das Managen der alternden Bevölkerung priorisieren? Oder sollte man agieren und versuchen der deutschen Kinderlosigkeit mit konkreten Vorschlägen und deren Umsetzung entgegenzuwirken?
Selten wird erwähnt, wer oder was für die Entwicklung verantwortlich ist. Dabei ist die Kenntnis der Ursachen des demografischen Wandels die Grundvoraussetzung für das Verstehen und das Finden eines adäquaten Umgangs mit ihm. Und diese Ursachen sind bekannt, gut erforscht und evident. Man kann sie beispielsweise im aktuellen „Bericht zur Evaluation der Wirkung ehe- und familienbezogener Leistungen auf die Geburtenrate/Erfüllung von Kinderwünschen“ nachlesen.
Die Unvereinbarkeit von Beruf/Ausbildung und Familiengründung steht als Ursache im Vordergrund. Junge Menschen, die sich in der Ausbildung oder im Studium befinden, entscheiden sich aufgrund finanzieller Sorgen und Ängste häufig gegen ein Kind. Dabei befinden sie sich im medizinisch und biologisch günstigsten Alter für eine Familiengründung. Sie schieben diese jedoch auf, da sie sich unsicher fühlen, auch wenn sie sich ein Kind wünschen. Die langen Ausbildungszeiten begünstigen dieses Verhalten.
Daneben gibt es viele junge Menschen, die vorerst keine Kinder wollen, weil sie mit sich selbst beschäftigt sind, sich verwirklichen wollen oder sich noch nicht reif genug fühlen. Und es gibt viele Menschen, denen Karriere, Arbeit und Geld wichtiger sind als das Gründen einer Familie. Das Geldverdienen hat häufig oberste Priorität.
Der Wert der Familie, der Wert der Kinder ist einer enorm starken Konkurrenz ausgesetzt. Unter anderem, weil der ökonomische und soziale Nutzen der Familie heute eher gering ist und Karriere, Wohlstand und Reichtum allein häufig schneller zu erreichen sind. Unser Gesellschaftssystem vermittelt ebendiese Konkurrenzwerte, die der natürlichen Familiengründung entgegenwirken. Sie folgen dem Prinzip des Kapitalismus und verdrängen alle nichtkonformen Werte. Man kann vielleicht von einem über die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart entstandenen Wertemonismus sprechen, dem eine größere Vielfalt an Werten vorrausging. Dieser Wertewandel hat möglicherweise den größten Einfluss auf die demografische Entwicklung.
Die Instabilität der Partnerschaften und die Freiheit der Geburtenkontrolle durch die Kontrazeption wirken ebenfalls der Familiengründung entgegen. Der leichtfertige Umgang mit der Antibabypille und ihren bekannten und unbekannten Nebenwirkungen ist gerade bei jungen Frauen kritisch zu sehen.
Wenn jetzt diese und weitere Ursachen bekannt sind, sollte es dann nicht möglich sein, politische Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Familiengründung begünstigen? Genügen finanzielle Anreize oder kann eine Veränderung nur durch einen Wertewandel hin zu sozialen, zu ethischen Werten erfolgen? Kann das die Politik leisten? Ist die Wertschätzung der Familie und der Kinder vereinbar mit den Werten der Wirtschaft und des Kapitals?
Und ist es bei einer global wachsenden Bevölkerung überhaupt sinnvoll hier gegenzusteuern? Könnte nicht eine Abnahme bedeuten, dass für jeden Einzelnen mehr da ist und sich seine Lebensqualität verbessert? Global gesehen wäre doch eine Stagnation des Wachstums oder eine Abnahme der riesigen Population Mensch zu begrüßen, da eine Vielzahl der gegenwärtigen Probleme gerade aus diesem Wachstum resultiert. Wie sollen wir uns also verhalten?
Vielleicht sollten wir gerade den jungen Menschen, die sich Kinder wünschen, ermöglichen, ohne Angst vor der Zukunft eine Familie zu gründen. Damit wäre der Bevölkerungsrückgang nicht aufzuhalten. Doch das wäre ein Schritt hin zu einer natürlichen Familienentwicklung. Einer Entwicklung ohne überproportionales Wachstum und die daraus folgenden Probleme. Was in vielen anderen Ländern als selbstverständlich angesehen wird und bei uns einst ein fester Wert war, dass ein sich liebendes Paar Kinder bekommt, könnte wieder mehr Beachtung finden.
Sollten wir nicht außerdem dem gegenwärtigen Wertemonismus, in dem beinahe sämtliche Werte allein von der Wirtschaft und dem Kapital bestimmt werden, entgegenwirken? Diesem Monismus, der sich in einer seiner extremsten Form in dem Angebot an Frauen äußert, ihre Eizellen einfrieren zu lassen, um ihre Kraft einem Unternehmen zu schenken anstatt sie für die Erziehung eigener Kinder zu verwenden? Wenn sie dann nach Jahren der Arbeit müde sind, könnten sie ja immer noch ihr Kind bekommen. Hier zeigt sich, wie stark rein wirtschaftliches Denken der Natur des Menschen widerstreben kann.
Sollten wir nicht versuchen gesellschaftliche Werte wie Gemeinschaft und sozialen Zusammenhalt, Wert der Familie, Achtung vor der Natur, Wert der Bildung und Möglichkeit der freien Entfaltung jedes Einzelnen, sollten wir diese Werte wieder an die Oberfläche holen und mit ihnen versuchen eine Kultur zu schaffen, die nicht allein der Wirtschaft und dem Kapital dient? Eine Kultur, in der die Wirtschaft in die Gesellschaft eingebettet ist, ihr nützt und mit ihren sozialen Normen und Werten harmoniert.
Vielleicht ist der demografische Wandel nur ein Symptom einer lethargischen Bevölkerung, die sich noch protestlos mit den Verhältnissen arrangiert. Dieser Lethargie könnte durch das Erkennen und Umsetzen von echten Alternativen begegnet werden, Alternativen zur gegenwärtig eher kinderfeindlichen, wertemonistischen Gesellschaft. Eine Folge des mit einer Realisierung dieser Alternativen einhergehenden zukünftigen Wertewandels wäre wiederum die Beeinflussung und die Veränderung der demografischen Entwicklung.

Wirtschaft+Kapital=Europa?

Nach den zahlreichen islamistisch motivierten Attentaten in verschiedenen europäischen Staaten und durch die stete Bedrohungslage, die das Innere der Gesellschaft verändert hat, wird wieder häufiger von den zu schützenden „Europäischen Werten“ gesprochen.
Dabei werden meist, recht unsicher und verhalten, wenige Werte aufgezählt. Die Freiheit des Einzelnen, die Rechtsstaatlichkeit, die Demokratie, mitunter auch der soziale Zusammenhalt. Es scheint nicht klar zu sein, welche Werte aktuell von Bedeutung sind und welche Werte für das Europa der Zukunft relevant sein sollten. Diese Unsicherheit resultiert vielleicht auch aus dem Wissen um die zunehmende Bedeutungslosigkeit ehemals gesellschafts-prägender Werte.
Welche Werte prägen unsere Gesellschaft? Sind es ethische Werte, die die Gemeinschaft und das Soziale fördern oder sind es wirtschaftliche Werte wie das Streben nach Profit, die Konkurrenz, das Wachstum? Ist die Europäische Union lediglich eine Wirtschaftszone, eine Wirtschaftskultur ohne eine tiefer gehende gemeinsame Wertegrundlage?
Ist eine Kultur der Wirtschaft und des Kapitals imstande, eine dem Menschen entsprechende Gesellschaft zu formen? Ist der liberale Kapitalismus geeignet, ein friedliches Europa zu schaffen? Wo ist die politische Idee, aus der Europa erwuchs? Wird das gegenwärtig praktizierte rein wirtschaftlich geprägte Vorgehen hinsichtlich des Versuchs Europa zu einen ein Versuch bleiben und zu neuer Konkurrenz, zu neuem Kampf zwischen den Staaten führen?
Für ein friedliches Zusammenwachsen braucht es mehr als wirtschaftliche Abhängigkeiten. Im eigenen Land ebenso wie im gesamten Europa. Ein Mehr an menschlicher Kultur, ein Mehr an gemeinsamen ethischen Werten. Niemand bestreitet die enorme Bedeutung der Wirtschaft für jede Gesellschaft. Doch allein genügt sie nicht.
Die Politik der letzten Jahrzehnte hat es nicht vermocht, andere Werte als die der Wirtschaft und des Kapitals zu vermitteln. Sie hat die gegenwärtigen Verhältnisse geschaffen und zu verantworten. Sie hat zu oft ohne Weitsicht gehandelt, ohne die Auswirkungen auf die Zukunft der Gesellschaft zu beachten. Und sie hat zu oft nicht gehandelt. Vielleicht aus Unwissenheit. Vielleicht aus Eigennutz. Es ist mehr materieller Wohlstand entstanden, doch der gesellschaftliche Zusammenhalt ist nach und nach geschwunden. Hinzu kommen die Spaltung der Gesellschaft bezüglich der Frage der Zuwanderung und die Veränderung der Sicherheitslage.
Wie können wir dem begegnen? Wie können wir dem Ziel einer besseren Gesellschaft in einem friedlichen Europa näher kommen? Was ist zu tun?
Wir sollten versuchen, einen neuen Wertekanon zu entwerfen und ihn im eigenen Land und europaweit zu vermitteln, mit dem Ziel einer Annäherung der verschiedenen gesellschaftlichen Kulturen. Diese geschaffene Gemeinsamkeit könnte, bei Wahrung der Identitäten, der Kulturen der verschiedenen Volksgruppen, zu einer friedlichen Koexistenz der Länder führen und Europa somit stärken. Ein Wertekanon könnte die Basis eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen den Völkern bilden und nachhaltig zu ihrem Zusammenwachsen und somit zu einer echten europäischen Kultur führen. Ein Wertekanon würde dem islamistischen Terrorismus entgegen- und widerstehen. Das Kapital und die Wirtschaft sollten der Gesellschaft dienen und sie sollten dieser ethischen Wertegrundlage nachgeordnet sein.